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Täuschen und sich täuschen lassen

Ronald Keusch

Premiere von „Der Revisor“ von Gogol im Schlosspark Theater Berlin


Das Ensemble (von oben links nach unten rechts): Frank Kessler, Oliver Nitsche, Steffen Melies, Oliver Seidel, Krista Birkner, Lukas Benjamin Engel, Helen Barke  © DERDEHMEL/Urbschat

Das Ensemble des "Revisor"

Mit der Inszenierung des Theater-Klassikers „Der Revisor“ von Nikolaj Gogol hat das Schlosspark Theater seinem Publikum intelligente Unterhaltung vom Feinsten angekündigt. Und wie der begeisterte Applaus des Premierenpublikums am 15. März eindrucksvoll belegte, das Team um Intendant Dieter Hallervorden hat nicht zu viel versprochen.

Die groteske Komödie, die ihre Uraufführung vor fast 200 Jahren in Sankt Petersburg erlebte, hat von ihrer Ursprungsidee über die Zeiten nichts eingebüßt. Denn es wird scharfsinnig wie amüsant erzählt über das „allgemein typisch Menschliche“, über das Täuschen und sich täuschen lassen, über Opportunismus und Habgier, über das Niederknien vor der Obrigkeit, über das Nach-unten-Treten und Nach-oben-buckeln. Das so „menschliche“ Obrigkeitsdenken und der Untertanengeist sind ungeachtet aller Erkenntnisfortschritte bis heute vorherrschend. Wie sonst sind die nachhaltigen Erfolge dümmlicher Propaganda in den Massenmedien erklärbar, beispielsweise bei Bundestags-Wahlen oder bei erfolgreicher Verbreitung von Kriegshysterie. Die neue Bearbeitung des Oldtimers „Der Revisor“ besorgte mit Feingefühl der Schriftsteller und Dramaturg John von Düffel. 


Links: Lukas Benjamin Engel (re.) als Chlestakow und Oliver Nitsche als sein Diener Ossip

Rechts: Die Familie des Stadthauptmanns wähnt sich schon in Moskau, v.l.n.r: Helen Barke, Krista Birkner und Frank Kessler 

© DERDEHMEL/Urbschat


Die Handlung dieses Erfolgsstücks ist in wenigen Sätzen erzählt. In einem kleinen russischen Provinzstädtchen verbreitet sich die Nachricht, dass ein einflussreicher Revisor aus Moskau inkognito auf dem Weg in die Stadt ist. Vor allem der korrupte Stadthauptmann und seine bestechliche Beamtenschaft, die ihre Aufgaben nicht erfüllen und sich zugleich die Taschen füllen, geraten in hellste Aufregung. Gleichzeitig ist ein junger Mann mit seinem Diener in einem Gasthof der Stadt vor zwei Wochen abgestiegen und bezahlt seine Rechnungen nicht, da er schlicht pleite ist. Da verbreitet sich schnell das Gerücht, dass dieser junge Mann namens Chlestakow der Revisor sei. Der aufgeweckte und gewitzte Chlestakow schlüpft gern in die Rolle des hohen Staatsbeamten. Anfänglich noch etwas linkisch und unbeholfen, spielt er dann perfekt einen Machtmenschen mit Star-Allüren. Er lässt sich in das Haus des Stadthauptmanns einladen, verlobt sich mit dessen Tochter und ihm wird von allen Seiten Geld zugesteckt. Erst als der Postmeister einen Brief von Chlestakow öffnet, wo er seine Situation in der Stadt frech und unverblümt schildert, platzt die Bombe, der Schwindel fliegt auf. Der falsche Revisor ist da bereits abgereist, nicht ohne vorher noch mit der Schubkarre einen Kristallleuchter aus der Wohnung des Stadthauptmanns in seinen bereitstehenden Wagen geschafft zu haben. Und der echte Revisor hat sich im Hotel der Stadt einquartiert.

Regisseur Philip Tiedemann 

© DERDEHMEL/Urbschat

Regisseur Philip Tiedemann

Das Stück hat eine sehr überschaubare einfache Handlung und ist dennoch einer der erfolgreichsten Klassiker auf den Theaterbühnen. „Der Revisor von Gogol ist die Urmutter der Verwechslungskomödie“, so bezeichnet Philip Tiedemann das Gogol-Stück. „Und gerade der einfache Handlungsstrang ist das Durchschlagende“. Philip Tiedemann hat die Regie im Schlosspark Theater geführt und zeichnet außerdem für die Fassung der Aufführung verantwortlich, es ist hier in Steglitz bereits seine fünfzehnte Arbeit.

„Der Gogol-Revisor ist ein Stück, was ich schon immer gerne machen wollte“, bekennt Tiedemann im Gespräch auf der Premierenfeier. „Im Schlosspark Theater mit seinem Intendanten Dieter Hallervorden versuche ich, die Fahne der dramatischen Literatur zu hissen. Wir haben das gemacht mit Ionesco 'Der König stirbt', mit Max Frisch 'Biedermann und die Brandstifter' und jetzt mit Gogol und dem 'Revisor'. Diese Stücke sind einfach wie Klassiker in der Musik, die man einfach kennen sollte, kennen muss – dafür zu sorgen ist eine Aufgabe des Theaters“, so die Meinung von Philip Tiedemann.


Links: Die Beamten „schmieren“ den vermeintlichen Revisor: Lukas Benjamin Engel als Chlestakow und Steffen Melies als Postmeister

Rechts: Der Stadthauptmann (Frank Kessler) und seine Tochter (Helen Barke) feiern die Verlobung © DERDEHMEL/Urbschat


Obwohl nun die Theaterwelt samt Kritiker unisono eine Verneigung vor dem Gogol-Stück machen, ist es selbstverständlich kein Selbstläufer. Für den großen Premierenerfolg auf der kleinen Bühne des Schlosspark Theaters brauchte es einige Zutaten. Da ist zunächst das von Philip Tiedemann geführte professionelle Schauspiel-Ensemble zu nennen. Hervorstechend die beiden Hauptfiguren im Stück. Den Stadthauptmann gab Frank Kessler, der für diese Figur eine perfekte Mischung verkörpert zwischen Machtperson und Untertanengeist eines Politikers, eine gelungene Karikatur provinzieller Bürokraten. Lukas Benjamin Engel in der Rolle des falschen Revisors konnte in vielen grotesken Situationen seinem Affen ordentlich Zucker geben – richtig Theater spielen. Den Schauspielern Oliver Seidel und Steffen Melies gelang das Kunststück, in jeweils drei Rollen zu schlüpfen, Oliver Seidel als Bobtschinski, Richter und Schulinspektor und Steffen Melies als Dobtschinski, Postmeister und Krankenhaus-Chef. Oliver Nitsche spielte den ewig hungrigen Diener Chlestakows. Und auch die beiden Darstellerinnen Krista Birkner und Helen Barke präsentierten gekonnt als Ehefrau und Tochter des Stadthauptmanns die Einfältigkeit und Beschränktheit der Provinz-Herrschaften.


Weinseliger Empfang im Wohnzimmer des Stadthauptmanns: v.l.n.r Krista Birkner, Lukas Benjamin Engel, Frank Kessler, Oliver Seidel und Steffen Melies  © DERDEHMEL/Urbschat

Weinseliger Empfang im Wohnzimmer des Stadthauptmanns, v.l.n.r: Krista Birkner, Lukas Benjamin Engel, Frank Kessler, Oliver Seidel und Steffen Melies

Einen unbestritten großen Beitrag zu dieser gelungenen Aufführung leisten neben der passenden Musik, die von Peer Neumann arrangiert wurde, das Bühnenbild und die fantasievoll gestalteten Kostüme. Für beides zeichnete Alexander Martynow verantwortlich, der schon in mehreren Inszenierungen am Schlosspark Theater mit Philip Tiedemann zusammenarbeitete.


In Erwartung des Revisors: Helen Barke (li.) als Tochter und Krista Birkner

als Ehefrau des Stadthauptmanns © DERDEHMEL/Urbschat

In Erwartung des Revisors: Helen Barke (li.) als Tochter und Krista Birkner   als Ehefrau des Stadthauptmanns

Allein wegen der Vielzahl an originellen Szenenbildern würde der Theaterbesuch lohnen. So ist der komplette Bühnenvorhang ein russischer Wald, der sich öffnet und schließt. Die Drehbühne des Hauses konnte mit den einzelnen Spielorten – einem schäbigen Hotelzimmer, einem großen Fenster oder dem großen Wohnraum in der Residenz des Stadthauptmanns – theaterwirksam eingesetzt werden.

Viele fantasievolle Detaillösungen bleiben in Erinnerung: Ein begehbarer Schrank mit Fenstern, in denen die Schauspieler auf- und abtauchen oder ein Bärenkopf, der ähnlich wie der Tigerkopf bei „Dinner for One“ immer im Weg liegt. Die Wände des großen Wohnzimmers sind mit Ölgemälden geschmückt, die den Provinzfürsten, in mehreren Porträts darstellen. Und da hängt dann Rembrandts Gemälde „Mann mit Goldhelm“ mit dem Konterfei des Stadthauptmanns. In ihm ist ein kleiner Schlitz angebracht, durch den er seine Besucher im Wohnzimmer verdeckt beobachten kann.


Chlestakow bandelt mit der Ehefrau an: Krista Birkner und Lukas Benjamin Engel, links das Ölgemälde „Stadthauptmann mit Goldhelm“, frei nach Rembrandt  © DERDEHMEL/Urbschat

Chlestakow bandelt mit der Ehefrau an: Krista Birkner und Lukas Benjamin Engel, links das Ölgemälde „Stadthauptmann mit Goldhelm“, frei nach Rembrandt

Nicht zuletzt gehört zu einem gelungenen Theaterabend in Steglitz ein sehr professionell gestaltetes Theaterprogramm, für das Co-Intendantin Nathalie Hallervorden und Kristina Pomplun sorgten. Eine der Grundideen im Programmheft besteht darin, dass die an der Inszenierung Beteiligten einen Kurzkommentar zum Stück liefern. Hier zeigt sich: Theaterspiel will mehr als nur Unterhaltung liefern und hat ganz aktuelle Bezüge. Oliver Seidel, in der Rolle des Botschinski zu sehen, erinnert zum Beispiel an die wachsende Politikverdrossenheit im Lande: „Übrigens: Deutschland ist auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2024 (CPI) von Platz 9 auf Platz 15 ‚abgerutscht‘!  Insbesondere in den Bereichen Informationsfreiheit und Parteienfinanzierung ist der Handlungsbedarf groß.“ Lukas Benjamin Engel, in der Rolle des Chlestakow, denkt zum Stück: „Die richtige Mischung aus Skrupellosigkeit, Lügen und Verzweiflung bringt einen Menschen entweder ins Gefängnis oder ganz nach oben.“


Die betrogenen Betrüger: Frank Kessler und Krista Birkner als Stadthauptmann und seine Frau  © DERDEHMEL/Urbschat

Die betrogenen Betrüger: Frank Kessler und Krista Birkner als Stadthauptmann und seine Frau

Eine besondere Erwähnung hat sicherlich die Schluss-Szene der Aufführung verdient. Der Stadthauptmann samt Ehefrau und Tochter sowie die Beamten müssen erkennen, dass der vorgebliche Revisor eigentlich nur ein kleiner Betrüger ist, und sie getäuscht wurden. Sie glaubten, dass sich ihre Unfähigkeit und Korruption mit Bestechung und anbiederndem Gehorsam vertuschen ließe. Verflogen sind Euphorie und Feierlaune und das so nahe scheinende Ziel, als „Berater“ schnelles Geld zu machen. Nun sind sie die betrogenen Betrüger.

Bei Gogol werden nicht irgendwelche Einzelpersonen vorgeführt und ausgelacht, sondern es ist die gesamte korrupte Gesellschaft, das System. In der letzten Szene sitzt Lukas Benjamin Engel wieder in dem schäbigen Hotelzimmer, er hat die dandyhaften Klamotten des falschen Revisors gegen einen perfekt sitzenden Anzug vertauscht. Der echte Revisor aus Moskau ist eingetroffen und lacht das Publikum aus! Und das Publikum weiß: Die Geschichte wird sich wiederholen – an die Stelle des kleinen Gauners treten die großen Kriminellen in Nadelstreifen.

Zum Abschluss sollen Gedanken des Regisseurs Philip Tiedemann stehen:

„Uns hier in Berlin erinnert diese Farce auch an den ‚Hauptmann von Köpenick‘ (historisch: 1906 / Zuckmayers Stück: 1930): Eine falsche Autoritätsperson stürzt eine Stadt in Furcht und Folgsamkeit – vor allem aber ins Lächerliche. … Während wir über die spießig-korrupten Provinz-Oberen lachen, fragen wir uns zugleich, welcher Revisor unerwartet morgen vor unserer Tür steht; und mitunter ist Russland uns so nahe wie Köpenick.“


Theaterplakat für den „Revisor“, Links - Krista Birkner, Oben - Frank Kessler, Unten - Lukas Benjamin Engel, Rechts: Helen Barke 

© DERDEHMEL/Urbschat

Theaterplakat für den „Revisor“, Links - Krista Birkner, Oben - Frank Kessler, Unten - Lukas Benjamin Engel, Rechts: Helen Barke


 

„Der Revisor“ steht auf dem Spielplan des Schlosspark Theaters bis zum 27.April, täglich außer montags

Schlosspark Theater

Schloßstraße 48

12165 Berlin

Tel: 030-789 5667-100         

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