Ein Buch zum Podiumsgespräch unter dem Titel „Das Phänomen Guérot – Demokratie im Treibsand“
Es ist frappierend, wie schnell und flächendeckend unsere Gesellschaft das Prinzip des Meinungspluralismus aufgegeben hat. Stattdessen breitete sich der Zeitgeist eines selbstgerechten, angepassten, woken Milieus aus, das sich im Besitz der Wahrheit dünkt, selbstverständlich alternativlos. Die einmal mehr einmal weniger aufgezeichneten roten Linien sind unübersehbar und dürfen nicht straflos überschritten werden. Das gilt insbesondere für alle, die in der Öffentlichkeit stehen, angefangen bei den Politikern im Parteienstaat, bei Journalisten in den Staatsmedien, bei Kulturschaffenden, die auf Staatsgelder und Aufträge angewiesen sind, bei den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes wie auch der Universitäten. Wer beispielsweise Wirksamkeit und Schutz der mRNA-Impfungen in Frage stellt, wer es wagt, den Irrsinn unserer Energiepolitik zu kritisieren oder wer bestreitet, mit der Lieferung von Panzern Frieden für die Menschen in der Ukraine schaffen zu können, der landet auf dem Scheiterhaufen. Allerdings wegen der Klimabelastung nur symbolisch, wie Andrè Mielke in seiner Glosse in der Berliner Zeitung am 5. April dieses Jahres vermerkte.
Ein Paradebeispiel für mediale symbolische Hinrichtung ist die Professorin, Wissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Guérot. Einst glorifiziert, dann dämonisiert. Ihr ist der Buchtitel „Das Phänomen Guérot“ aus dem Klarsichtverlag gewidmet, mit dem Untertitel „Demokratie im Treibsand“. Auf übersichtlichen 138 Seiten wird darin ein Podiumsgespräch in Kiel aus dem Sommer des vorigen Jahres wiedergegeben, das der Publizist und Philosoph Matthias Burchardt mit ihr führte. Und schon auf den ersten Seiten wird ganz klar: Das Phänomen dieser deutschen Intellektuellen besteht darin, dass sie nicht vor der heiligen Inquisition der Mainstream-Medien auf die Knie sinkt, dass sie sich nicht der Political Correctness des herrschenden woken Zeitgeists beugt, wie leider so viele ihrer Kollegen.
Wie kaum eine andere Person aus der deutschen politischen Prominenz war Guérot in Europa bestens vernetzt, wie ihr Gesprächspartner in der Einleitung des Buches mit kurzen Stichworten erläutert. Sie wurde sogar verdächtigt, „sie sei lediglich ein Werkzeug der Macht, die sich ihrer als kontrollierte Opposition bediene.“ Und als Belege für diese Unterstellung werden „ihre Teilnahme am World Economic Forum (WEF) und die Kontakte zum Milliardär und Philanthropen George Soros angeführt.“ Genannt werden auch Kontakte zu den Machern des Great Reset mit Klaus Schwab und der Open Society Fondation mit ihrem weltweiten Einfluss. Doch das alles nutzte ihr nicht. In ihrem bürgerlichen Engagement und dem Einsatz für republikanische Gedanken in der Nähe globaler Machtzentren wird ihre Intelligenz und Gradlinigkeit ihr zum Verhängnis. In einer beeindruckenden Karriere „war es für sie verlockend, in die Welt der großen Namen aufzusteigen, Champagner zu trinken und um die Welt zu jetten.“ Ulrike Guérot war verführbar, aber nicht korrupt, so bescheinigt ihr der Gesprächspartner, hat sich mit vielen Akteuren angelegt und hat „einen hohen finanziellen und existenziellen Preis dafür gezahlt, dass sie der Stimme ihres Gewissens gefolgt ist.“ (S.11) Dazu zählte unter anderem der Rauswurf aus der Universität Bonn unter fadenscheinigen Gründen.
Ein spannender Teil des Gespräches von Guérot und Burchardt ist zweifellos die Beleuchtung einer Reihe von Intrigen, die um die Person Guérot gesponnen wurden und noch werden. Der Publizist Burchardt lässt es sich nicht nehmen, gleich am Anfang seine Gesprächspartnerin als „gerade die mutigste Frau Deutschlands“ zu küren. Und erntet von Frau Guérot gleich den ersten Widerspruch, dass es viele mutige Menschen überall im Lande gibt. Und es wird schon auf den ersten Seiten deutlich: In dem Buch wird das Phänomen von der Person entkoppelt. So wird schnell klar: Es geht um ein gesellschaftliches Phänomen, um viele Sachen, „die in dieser Gesellschaft ganz offensichtlich schieflaufen“, wie da sind Demokratie oder Meinungspluralismus, Diskursfähigkeit oder Wissenschaftsbetrieb bis hin zu Umgangsformen. (S.17)
Nicht überraschend werden zunächst die Plagiat-Vorwürfe angesprochen. Ulrike Guérot hat an zwei (!) Stellen unsauber zitiert, wobei die Autoren und Quellen genannt wurden, insofern – so Burchardt – „ist es letztlich ein konstruierter Vorwurf, der eine gängige Praxis im journalistischen und wissenschaftlichen Raum plötzlich in den Rang eines Verbrechens erhebt.“ (S.19). Es folgte eine regelrechte Treibjagd mit Auftragsartikeln und Diffamierungen aller Art bis zu Forderungen der Entlassung aus der Universität und der Bücherverbrennung. Wem drängt sich da nicht der Vergleich zu den mittelalterlichen Hexenprozessen auf. Es wurde Ulrike Guérot vorgeworfen, eine „faschistoide bzw. mafiösen Sprache“ zu verwenden, weil die Autorin in einem Essay über die Corona-Aufarbeitung das unschuldige Wort „Aufräumen“ verwendet hatte. (S. 31) Angesichts so vieler absurder Fantasie könnte jeder Autor von einer Soap-Opera nur neidisch werden.
Dann steigt die Gesprächsrunde in das eigentliche Thema ein, das auch auf dem Buchtitel steht: Demokratie im Treibsand. Und dem schließt sich das Urteil über gesamtgesellschaftliches Versagen an mit der griffigen Formulierung: Die Gesellschaft hat ihre Contenance verloren. Ein Schwerpunkt im Gespräch, wie kann es anders sein, wenn sich eine Wissenschaftlerin und ein Philosoph treffen, ist der Zustand der Wissenschaft. Das Urteil ist unisono: „Wissenschaft läuft Gefahr, zu einer Ideologiefabrik zu werden, die aus der Gesinnungsperspektive Legitimation von Politik betreibt. Macht ist dann wichtiger als Erkenntnis.“ (S. 35) Früher war es so, erinnert Burchardt, „dass man, wenn man an der Hochschule arbeitete, mit einem bestimmten verlässlichen Budget ausgestattet war, und dann hatte man akademische Freiheit …“ Heute ist die Uni eingebunden in ökonomische Verfahren, sie ist nicht mehr „Anker der Wahrheit, der unabhängige gesellschaftlich kritische Impulse geben könnte, sondern sie ist eine höchst abhängige Instanz.“ (S. 36) Und dann fasst er seine Kritik in zwei derbe Begriffe: Drittmittelbordell („ich muss mich zur Verfügung stellen und dann auch stöhnen für denjenigen, der mich bezahlt“) und Zertifikationsdiscounter („möglichst viele Leute so auszustatten, dass sie mit den Weihen der Wissenschaft in das Leben hinaustreten können. Ob das dann wirklich gedeckt ist durch Bildung, fachliches Wissen, methodische Fertigkeit … ist in hohem Maße fragwürdig“ (S. 36/37))
Doch die Demokratie ist angewiesen auf eine gebildete Öffentlichkeit. Ulrike Guérot betont: „Wissenschaft darf keine staatlich geförderte Legitimationswissenschaft sein.“ (S. 41) Wie sehr die Wissenschaft zur Mätresse der Politik wurde, ist eindrücklich in der Corona-Krise zu sehen. Studien, die nicht in das politische Narrativ von Zero-Covid, striktem Lockdown und einer völlig überzogenen Impfkampagne passten, wurden einfach nicht gefördert. Selbst die naheliegendsten Maßnahmen, wie das Aufsetzen einer statistisch relevanten Kohorten-Studie oder eine systematische Erfassung und Erforschung von PostVac, wurden von der Politik nicht umgesetzt – mit desaströsen Folgen für die gesamte Gesellschaft und einer heute hochgradig besorgniserregenden Übersterblichkeit. Und das sei manchem Politikversteher hierzulande, der immer noch jegliche Kritik an der Corona-Politik als Schwurbelei abtut (nach dem Motto „Spiegelleser wissen mehr“) ins Stammbuch geschrieben: „Die Medien dürfen nicht die Aufgabe der Wissenschaft erfüllen – etwa journalistische Faktenchecker, die Herrn Bhakdi sagen, dass er keine Ahnung von Medizin hat.“ (S. 44) Und in diesem Zusammenhang ist im Gespräch auch das Zitat des Satirikers Bernd Zeller zu finden mit seiner ironischen Definition der Wissenschaft: „Man stellt eine Hypothese auf und prüft dann empirisch, ob man sie sagen darf.“ (S. 62)
Immer wieder führt das Gespräch auf die Corona-Maßnahmen zurück und eine bittere Bilanz muss gezogen werden. „Gesundheit war auf einmal Impfung, menschliches Verhalten wurde schematisch simuliert, zur Solidarität wurde genötigt, Angst wurde über Lebendigkeit gestellt, teilweise grausame, weil entwürdigende Maßnahmen wurden verklärt, Wissenschaft de facto pervertiert“ (S. 94) Die Denkanstöße und Schlussfolgerungen im Gespräch sind durchaus atemberaubend, beispielsweise die These von Guérot: Das gesellschaftliche Tischtuch scheint leider schon sehr gerissen. Denn ein Teil der Gesellschaft, etwa 20-30 Prozent also 25 Millionen Menschen in Deutschland, gehen davon aus, dass die Corona-Erzählung eine grandiose Lügenerzählung zum Zwecke des Umbaus der Gesellschaft war. Und eine Mehrheit ist nach wie vor im Glauben, dass es ein großes Killervirus gab und alles, was getan wurde, richtig und wichtig und alternativlos war. (S. 114)
Und doch haben die Maßnahmenkritiker mit fast allem recht behalten, sei es die Wirksamkeit der PCR-Tests, die nicht erzielbare Herdenimmunität, die Gefahr von Impffolgen oder der Ursprung des Virus aus dem Labor. Dieser Teil der Gesellschaft erwartet – mit Recht – eine Entschädigung der Impfopfer, Regress für diejenigen, die ihre Jobs verloren oder ruiniert wurden und eine Rehabilitierung der Stigmatisierten, Ausgegrenzten, Diffamierten. Doch falls die Aufarbeitung ausbleibt und keine Debatte stattfindet, so die pessimistische Aussicht von Ulrike Guérot schon vor neun Monaten, dann dürfte es autoritär oder gar totalitär werden, wie immer, wenn ein Lügengebäude zementiert werden muss und die Wahrheit nicht ans Licht darf. (S. 115) Spätestens bei solchen klaren Aussagen von Guérot wird sich mancher Chefredakteur an die Brust klopfen und sagen: Solche Meinungen dürfen nicht an die Öffentlichkeit. Diskreditieren und Totschweigen! Was auch geschah und immer noch geschieht.
Genauso rigoros und unbestechlich wie zu den Corona-Maßnahmen nimmt Ulrike Guérot auch zum Thema des Ukrainekrieges ihre Position ein. Als langjährige Protagonistin einer europäischen Republik setzt sie auch angesichts der EU-Wahlen im Jahr 2024 auf ein Kriegsende durch Verhandlungen. Die europäischen Pläne und Interessen sieht sie in einem Friedensabkommen mit Russland. Dazu bedarf es einer Neuaufstellung Europas nach den beiden Kriegen, einem Krieg gegen den Virus, wie es Emmanuel Macron nannte, sowie dem Krieg in und um die Ukraine. Ihre Vision ist eine Art Bollwerk der Europäischen Republik gegen „Chimerika“. Die erklärte Europäerin Guérot erinnert an den Gedanken des gemeinsamen europäischen Hauses von Lissabon bis Wladiwostok. Es scheiterte unter anderem deswegen, weil die Bush-Administration viele Rüstungskontrollverträge mit Russland unilateral kündigte. Sie verrät ihren Herzenswunsch, eine Emanzipation Europas, mit der Europa eine souveräne Politik machen kann, die nicht nur amerikanische Interessen bedient. Wenn sich Europa nicht emanzipiert, dann wird es, so formuliert Guérot salopp, zwischen den USA und China de facto filetiert.
Und dann setzt sie noch einen drauf und meint: „Der Ukrainekrieg – auch das wollte ich bei Lanz sagen - ist nur vordergründig ein russisch-ukrainischer Krieg, in erster Linie aber ein Stellvertreterkrieg der USA, der den USA in vielfacher Hinsicht strategisch und ökonomisch nutzt, Europa aber schädigt.“ Europa, das einstige Friedensprojekt, liefert jetzt Waffen, um eine geeinte ukrainische Nation zu unterstützen, die es in dieser Form in der ukrainischen Geschichte nie gegeben hat. Das sei nur noch abstrus und zeige eine ungeheuerliche manipulierte Medienmacht (S. 126) Schließlich ergänzt Guérot, dass diese Aussagen nicht anti-amerikanisch sind, sie studierte und arbeitete in den USA, liebt viele Facetten Amerikas, sondern es geht um den Deep State America, und das ist etwas ganz anderes.
Ein sehr engagiertes, mutiges und informatives Podiumsgespräch, das in seinen wichtigsten Passagen seine Aktualität noch besitzt. Dankeswerterweise wurde es in zwei Buchdeckel vom Klarsichtverlag gebündelt. In einem Nachwort hebt die Schauspielerin und Regisseurin Gabriele Gysi hervor, dass Ulrike Guérot ihre Popularität einsetzt, um ein selbstständiges Verständnis von Realität zu fordern und zu fördern. Sie mache uns Mut, uns selbst zu vertrauen und schließlich sei Verstehen wichtiger, als recht zu haben. Und dann steht der Satz, wenn es darum geht, unserer Wirklichkeit nach-zuspüren und nach-zudenken: „Politikwissenschaft kann schön sein!“ Dieses Buch mit seinen beiden Gesprächspartnern beweist es.
Lese-Empfehlungen:
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Buch: Ulrike Guérot, Matthias Burchardt Das Phänomen Guérot: Demokratie im Treibsand
Verlag: Klarsicht Verlag, Erschienen: 20. März 2023, Paperback 18,99 EUR
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