Die Premium-Messe auf dem Messegelände wird ergänzt durch eine Vielzahl neuer Formate, Shows und Events
Mode-Designerin Anja Gockel präsentiert ihre neue Kollektion © Ingrid Müller-Mertens
Fashion Week der langen Wege: Vom stilwerk bis nach Oberschöneweide
Zum Auftakt der Berliner Modewoche präsentierte Der Berliner Salon als Instanz des deutschen Designs 44 DesignerInnen und Manufakturen im stilwerk KantGaragen. Darunter deutsche und ukrainische Modehäuser wie Société Angelique und Jean Gritsfeldt, das hybride Konzept The Twins von Tutia Schaad und Michael Sontag, die iranisch-kanadische Hut-Designerin Maryam Keyhani, die Interior-Labels New Tendency und Vaust Studio.
Designerin Kristina Bobkova begeisterte mit ihrer Kollektion femininer, zeitloser Mode. Mit nur 23 Jahren gründete die Ukrainerin ihr gleichnamiges Label. Seit 1998 ist sie Teil der Ukrainian Fashion Week und präsentiert seitdem in ihrer Heimat ihre Ready-to-Wear Bekleidung, handgefertigte Accessoires und Schuhe. Das Label BOBKOVA steht für selbstbewusste Weiblichkeit. Durch die Kombination aus femininen Silhouetten und geradliniger, unverwechselbarer japanischer Schnittführung verfolgt die Designerin einen höheren modischen Sinn, nämlich Geschlechterstereotypen aufzubrechen. Durch den zeitlosen Anspruch bleiben ihre Looks – ganz unabhängig von Zeit, Ort und Situation – beständig relevant.
Die erste Saison Berlin Contemporary eröffnete Designerin Sia Arnika. Obwohl die gebürtige Dänin ihr gleichnamiges Label erst 2020 launchte, wird sie schon jetzt international gefeiert. Es ist die Komposition ihrer Mode, die ihre Kollektionen so besonders macht. Mit einer Faszination für ungewöhnliche Textilien und Silhouetten, findet die Designerin das Schöne im Skurrilen und Seltsamen. Sie erforscht gängige Formen und Materialien, dekonstruiert diese und lässt eigenwillig Gegensätze aufeinanderprallen.
Kollektionen von Kristina Bobkova, Sia Arnika und Lou de Bètoly © Lina Grün, Finnegan Godenschweger, Lina Grün (v.l.n.r.)
In den KantGaragen zeigte die VORN Fashion Show das Beste der nachhaltigen Mode.
Rianna + Nina präsentierten ihre neue Kollektion von griechischem Sommer inspirierter Looks mit luxuriösen Vintage-Stoffen in intimer Salon-Atmosphäre im Regent Hotel. Aus einer gemeinsamen Leidenschaft für einzigartige Vintage-Textilien gründeten Rianna Kounou und Nina Knaudt ihr Label 2014 in Berlin. Heute steckt hinter RIANNA + NINA vielmehr als nur eine Marke, sondern es eröffnet sich ein ganzes Universum farbenfroher Schätze, nämlich neuartige, extravagante und vor allem nachhaltige Luxusmode: Jeder ihrer Looks, seien es Kaftane, Mäntel oder Roben, entstehen allesamt aus sorgfältig ausgesuchten, farbintensiven und außergewöhnlich bemusterten Vintagestoffen, denen dank speziellen Upcycling-Techniken ein zweites Leben verliehen wird. Alle Einzelstücke entstehen per Hand im Berliner Atelier des Duos.
Newcomer Dennis Chuene zeigte in den KantGaragen eine Kollektion, die Streetwear-Elemente mit Stick-Handwerk zusammenbrachte. Malaika Raiss präsentierte in der Design-Galerie Nella Beljean elegant-minimalistische monochrome Abendgarderobe.
Kollektionen von Rianna + Nina (links und mitte) sowie Namilia (rechts) © Lina Grün (L und m.), Finnegan Godenschweger (r.)
Am dritten Abend der Berlin Fashion Week zeigte Namilia in einer Kollaboration mit dem Gaming-Klassiker Need for Speed und einer queeren Motorsport-inspirierten Kollektion Mode nicht nur als ästhetisches Mittel, sondern auch als visuelle Plattform, um ihre eigenen Überzeugungen, Konflikte und Träume darzustellen. Mit ihren experimentellen, futuristischen und progressiven Looks regen sie zum Umdenken an und zelebrieren ein radikal neues und jugendliches Verständnis von Feminismus.
Ironisch-kitschig zeigte sich Lou de Bètoly mit romantisch-morbiden Couture-Entwürfen und raffinierten Strickkonstruktionen im Queens Palace, einem mit Rosen geschmückten Festsaal. Modewochen-Veteran Marc Cain präsentierte im weitläufigen Flughafen Tempelhof eine feminine Contemporary Kollektion.
Bereits in dritter Saison zeigte das ukrainische Label Jean Gritsfeldt seine Kollektion in Berlin, diesmal im Alten Kraftwerk Oberschöneweide. Das Finale bildete die Präsentation von Olivia Ballard, die mit ihrer Hommage an die Club-Kultur der Stadt Feminität in Unisex-Form bringt.
Nach Aufsehen erregenden Interventionen und Diskursen um das Thema “DIVERSE IT! – a trialogue in fashion” zeigte PLATTE.Berlin das Resultat von fünf Designern, die genderfluide Mode neu verhandelten und Perspektiven für inklusive Mode präsentierten. Auch Anja Gockel widmete ihre neue Kollektion diesem Thema und begeisterte mit ihrer Show im Hotel Adlon.
Für die Premium Messe hieß es zum 20. Jubiläum: Back to the Roots. Die Premium Group zeigte mit der Seek Messe, der Content Plattform Fashiontech und dem Conscious Club auf der Messe Berlin nicht nur, dass Berlin weiter relevanter Retail-Standort bleibt, sondern auch Diskurse um die Zukunft der Modeindustrie und Nachhaltigkeit mitprägt.
Mode mit allen Sinnen – neue Kollektion von Anja Gockel
Anja Gockel © Ingrid Müller-Mertens
Wenn Anja Gockel am Ende der Show inmitten der Models steht und alle applaudieren, dann ist das ein Moment voller Kraft und Schönheit. Es erfüllt sich, wofür sie seit über 23 Jahren kämpft: Das Charisma der Frauen sichtbar zu machen und Geschlechtsunterschiede aufzuheben. „Stellt eure Weiblichkeit in den Mittelpunkt und findet euer Gleichgewicht. Seid authentisch und mutig. Wir brauchen die weibliche Energie in der Welt“, schreibt sie auf ihrer Webseite.
Selbstbewusste Fashion in lebhaften Farben, kühn geschnitten, mit unerwarteten Materialien haben die Designerin aus Mainz über deutsche Grenzen hinaus bekannt gemacht. Im renommierten Berliner Hotel Adlon Kempinski präsentiert sie seit einigen Jahren ihre beiden jährlichen Kollektionen. Und damit ist sie auch eine Konstante für die Fashion Week geworden ist, seit der bisherige Hauptsponsor Mercedes, sich zurückgezogen hat und keine feste, zentrale Anlaufstelle für die Veranstaltungen mehr vorhanden ist. Damit hat die Modewoche an Glamour eingebüßt, was sich auf den Gästelisten deutlich bemerkbar macht. Die internationale Mode und Promi-Elite fehlte. Und vor allem ist es auch ein Problem für die vielen jungen Designer, die sich für ihre Shows keine teuren Vorführräume mieten können. Kein Problem für Anja Gockel, die ihre traditionelle Show zur Berliner Fashion Week im Hotel Adlon Kempinski fortführen konnte und im edlen Ambiente der eleganten Lobby ihre Winterkollektion 23/24 präsentierte.
Kollektion von Anja Gockel © Ingrid Müller-Mertens
„Mode ist sinnlich“, sagt Anja Gockel in ihrer Begrüßung vor der Show. Und sie betont, dass die bisherigen fünf Sinne eigentlich nicht genügen. Sie möchte zwei weitere hinzufügen. Ästhetik und Bewusstsein. „Erst damit entsteht der Reichtum unserer menschlichen Empfindungen.“ Wir sollten alle unsere Sinne öffnen und die Welt entdecken, empfiehlt die Designerin.
Und so heißt das Motto ihrer neuen Kollektion auch sieben Sinne: „Seven senses“. Spiegelbilder auf dem Catwalk verdeutlichen die unterschiedlichen Perspektiven unserer Ansichten und ästhetischen Wahrnehmungen. Die eigens komponierte Musik und die Models – Tänzerinnen und Tänzer von europäischen Bühnen – betonten mit tänzerischen Einlagen die optische Ausdrucksstärke der Kreationen.
Mit ihrer Kollektion wagt Anja Gockel den „Vibe shift“, das kommende Trendzeitalter des Stimmungswandels in der Kultur und bei gesellschaftlichen Trends. In der Mode ist es die genderfluide Kleidung, die die Konturen zwischen Weiblichem und Männlichem durch asymmetrische Schnitte, ungleichmäßige Raffungen und zerknüllte Stoffe verschwimmen lässt. Mode ist nicht mehr perfekt gestylt sondern eher unordentlich, improvisiert, zufällig, Stimmungen unterworfen.
Kollektion von Anja Gockel © Ingrid Müller-Mertens
Männer mit bloßen Oberkörpern, durchsichtigen Tops und in weit fließenden, floralen Hosen und Röcken. Im Gegensatz dazu dominierten bei den weiblichen Models eher maskuline Looks. Durch die Kollektion zogen sich Farben, wie Pink, Salbei, ein dunkles blau und in Kombination mit einem zarten floralen Muster, viele Pastelltöne aber auch kräftige Tweedmuster. Oversized oder hauteng, verhüllt oder entblößt, schlicht oder opulent – Anja Gockel folgte ihren sieben Sinnen! Die Begeisterung war groß.
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