Eindrücke im Europäischen Jahr der Schiene: Connecting Europe Express in Berlin
Bei dem charmant witzigen Lied vom "Sonderzug nach Pankow" aus dem Jahr 1983 klagte Rockmusiker Udo Lindenberg bei seinem Publikum und bei Erich Honecker darüber, in der DDR nicht auftreten zu dürfen. An das respektlose Liedchen werde ich angesichts des jüngsten Sonderzuges der EU-Kommissare aus Brüssel unweigerlich erinnert. Der startete immerhin real am 2. September dieses Jahres in Lissabon zu einem verkehrspolitisch bedeutsamen Zeitpunkt: Dem Europäischen Jahr der Schiene. Vorgestellt mit der Losung: Connecting Europe Express. Kleiner machen es die Brüssler EU-Lenker Europas nicht, auch wenn sie dabei mit den Weiten in Russland einen beträchtlichen Teil des Kontinents Europa einfach vergessen haben. Erklärtes Ziel ist es, den Europäern das Bahnreisen näher zu bringen, Menschen und Wirtschaft durch die Eisenbahn weiter zu verbinden und bedeutsames für den Klimaschutz und für den verkündeten europäischen Green Deal zu leisten. Da kann es doch nun wirklich keinen Widerspruch geben. Den Beweis lieferte auch eine Halbtags-Veranstaltung am 30. September in Berlin. Tagungsort moderne Räumlichkeiten in der vierten Etage des Berliner Technik-Museums - ein Schelm, wer anlässlich der Ortswahl irgendwelche Bezüge zum aktuellen Stand der deutschen Eisenbahntechnik herstellt.
Der weltgewandte Moderator Walter Götz, seit 2019 Kabinettchef von Verkehrskommissarin Adina Vălean in der Europäischen Kommission, begrüßte unter den eingeladenen Gästen explizit auch die treuen Fans und Enthusiasten der Eisenbahn. Auf den ersten Blick war allerdings unter den etwa 50 Anwesenden niemand zu entdecken, der sich angesprochen fühlen konnte. Auf keinen Fall würde ich zu diesem Eisenbahner-Freundeskreis den wichtigsten Lobbyisten der Bahn, Ronald Pofalla, zählen. Der Ex-Kanzleramtschef bei Merkel zog 2014 in die 15. Etage der DB-Zentrale am Potsdamer Platz und nennt sich jetzt ganz beeindruckend: Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen. Er hat sich maßgeblich für das Tiefbahnhof-Projekt S 21 mit seinen Milliarden Kostenexplosionen eingesetzt, die jetzt der Bahn für ihre Infrastruktur fehlen. Und weil wir beim Thema großes Geld sind, der Generalbevollmächtigte verdient (laut Wirtschaftswoche) 1,2 Millionen Euro im Jahr, so viel wie die Jahreslöhne von 36 Lokführern oder 39 Zugbegleitern (siehe Arno Luik "Schaden in der Oberleitung", S. 274, Westend Verlag 2021, Taschenbuchausgabe).
Es war nunmehr in Reden und Diskussionsrunden zu hören, dass die Schiene einen nahezu übermächtigen Mäzen und zugleich Propagandisten auf ihrer Seite hat, die bärenstarke Lobby der Klimaschützer. In einem markigen Vortrag klassifizierte Staatssekretär Enak Ferlemann das 21. Jahrhundert als "Jahrhundert für die Eisenbahn". Und es ist ein Masterplan für 25 Jahre aufgestellt und mit einem Deutschland-Takt, Digitalpower und Musterfahrplänen soll die Passagierzahl in Deutschland bis 2030 verdoppelt werden. Ebenso soll bis dahin 30 Prozent mehr Güterverkehr auf der Schiene rollen.
Doch diesen Zielen fehlt, wie Fachautor Arno Luik belegt (siehe Buchrezension Desaster Deutsche Bahn (keusch-reisezeiten.de), jeglicher Bezug zur Realität.
"Der kaputtgesparten Bahn fehlt es an allem: an Gleisen, an Land für Gleise, an Lokomotiven, an Zügen, an Personal und vor allem an Know-how".
Und die Zahlen sind auch im internationalen Vergleich verheerend. Um den viel beschworenen Standard der Schweiz für den hierzulande propagandistisch aufgeblähten Begriff des Hochtechnologiestandorts Deutschland zu erreichen, müsste das Bahnnetz augenblicklich um 25.000 Kilometer (!) erweitert werden. Und der Blick auf die Realität ist ernüchternd. Im Jahr 2020 wurden knapp drei Kilometer zusätzlicher Bahnstrecke in ganz Deutschland in Betrieb genommen.
Wenn es dann auch und gerade um die Zusammenarbeit und Kooperation in Europa ganz konkret geht, da stehen die hehren Ziele ganz schnell auf dem Abstellgleis. Das wird beispielsweise im letzten Panel mit dem nervenden Dauerthema Nachtzüge deutlich. Hier plaudert der Sprecher von Transdev, Dr. Tobias Heinemann, in ausgewähltem Kreis ein wenig aus seinem Nähkästchen, wie weit noch der Weg zu einem echten europäischen Eisenbahnsystem ist. Es geht um Nachtzüge zwischen Deutschland und Schweden, an die Heinemann fest glaubt. Und er schildert die ganz praktischen Hemmnisse. Als Bahndienstleister, der in der Europäischen Union in vielen europäischen Mitgliedsstaaten Schienentransporte anbietet, kann Transdev nicht einfach von Deutschland nach Schweden oder Frankreich fahren. Sie benötigen für jeden einzelnen Mitgliedsstaat eine eigene Lizenz als Eisenbahnverkehrsunternehmen. So hatte das Unternehmen auch unglaubliche Schwierigkeiten, tagsüber in Berlin einen Abstellplatz für den Zug zu bekommen. Eigentlich sollte die Bereitstellung von Parkplätzen im Bereich der Bahninfrastruktur diskriminierungsfrei und fair erfolgen. Als Transdev vorschlug, einen eigenen Fahrkartenautomaten auf dem Bahnsteig aufzustellen, damit die Fahrgäste dort ihre Fahrkarten kaufen können, meinte die Deutsche Bahn, sie müsste erst eine "Strukturanalyse" in Auftrag geben. Sollte die Bausubstanz deutscher Bahnhöfe wirklich gefährdet sein, wenn man auf einem Bahnsteig einen zusätzlichen 400 Kilogramm schweren Fahrkartenautomaten aufstellt? Und die Pointe des Vorgangs: Die Kosten für die Studie einer Strukturanalyse wären zwei mal so teuer wie der Automat selbst.
Auch der Manager Alexander Hedderich von dem privaten Unternehmen Railroad Development Corporation (RDC) listete eine Reihe von Hemmnissen auf, die bei Nachtzügen nach Schweden, Österreich und die Schweiz durch fehlende Unterstützung deutscher Stellen bestehen. Der Bedarf der Reisenden ist da, ebenso die Risikobereitschaft der Unternehmen, aber es fehle an so banalen Dingen wie einer möglichen Buchung von Tickets für Nachtzüge auf staatlichen Plattformen.
Im Resümee der Veranstalter war zu hören, dass alle Beteiligten vor einer Fülle von zu lösenden Aufgaben stehen und die Europäische Kommission auf einem sehr guten Weg sei.
Können mittelfristig die Leiden der Eisenbahn-Enthusiasten, die auf den Schienen in Europa reisen wollen, etwas gemildert werden?
Der Sonderzug nach Pankow war der bis dahin erfolgreichste Hit von Udo Lindenberg. Lindenberg wurde zu einem ersten Auftritt im Rahmen eines Friedenskonzertes am 25. Oktober 1983 in den Palast der Republik eingeladen, allerdings blieb der Hit selbst in der DDR verboten und die versprochene mehrwöchige Tournee wurde abgesagt. Erst nach dem Mauerfall fanden 1990 Konzerte im Osten Deutschlands statt.
Ein Fazit von Autor Arno Luik für Deutschland lautet:
"Der Zustand der Bahn zeigt beispielhaft, dass in diesem Land etwas fundamental entgleist ist: dass der Staat sich nicht mehr als ein Gemeinwesen versteht, das sich um seine Bürger kümmert - und zwar um alle, egal ob sie auf dem Land oder der Stadt wohnen, ob sie reich oder arm, alt und gebrechlich sind."
Der Sonderzug aus Brüssel braucht sicherlich grundlegende Veränderungen im Bahnmanagement, damit Bahn und Schiene in Deutschland und letztlich auch in Europa den Platz erobern können, der für ein friedlich zusammenwachsendes Europa auch unter dem Klimaaspekt notwendig ist.
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