Wanderweg im Gotthardmassiv im August 2012 neu eröffnet
Quellenstein der Rheinquelle am Tomasee
Mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste, es sei nun, dass alte Erinnerungen sie wert machen oder dass mir das Gefühl von so viel zusammen geketteten Wundern der Natur ein heimliches und unbenennbares Vergnügen erregt.
Gotthard-Reisender Johann Wolfgang Goethe in seinem Tagebuch Juni 1775
Mythos Rheinquelle
Der kleine Ort Andermatt in der Gotthardregion im Schweizer Kanton Uri hat schon einige Karrieren durchlaufen. Die Weltgeschichte schaute vorbei, als der russische Feldmarschall Suworow mit tausenden seiner Soldaten im Jahr 1799 in der nahen Schöllenen-Schlucht französische Truppen unter Napoleon besiegte, nach einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht.
Suworow-Denkmal an der Teufelsbrücke
Kriegerdenkmal mit russischer Fahne
An dieses Ereignis erinnern heute ein Denkmal und ein Museum. Das Suworow-Denkmal in der Schöllenen-Schlucht, gleich neben der Teufelsbrücke, ist ein in den Granit des Gotthard gehauenes 12 Meter hohes Gedenkkreuz. Es wurde anlässlich des einhundertsten Jahrestages der Schlacht auf Initiative des russischen Fürsten Serge Galizin errichtet. Vor dem Denkmal flattern die Russische und die Schweizer Flagge.
Alte und neue Teufelsbrücke und Schöllenen-Schlucht Inschrift am Suworow-Denkmal
Das Talmuseum Ursern in Andermatt ist in dem Haus eingerichtet, welches 1799 Suworow als Hauptquartier diente. In dem schönen Patrizierhaus widmet sich eine Dauerausstellung neben der Militärgeschichte auch der Geschichte und Kultur des Urserntals.
Talmuseum Ursern Erinnerungstafel an Suworow Dauerausstellung zum Leben in der Alpenregion
Originale Möbel und darauf abgestimmte Einrichtungsgegenstände, Täfelung und Türen geben Einblick in die Wohnkultur gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Glanzstück der Ausstellung ist eine Prunkstube aus der Zeit des Spät-Barocks.
Eine Sonderausstellung ist dem in Andermatt geborenen Schweizer Skirennfahrer Bernhard Russi gewidmet.
Prunkstube im Museum
Andermatt als günstige Drehscheibe für den Vier-Quellen-Weg
Als anfangs des 19.Jahrhundert der Gotthardpass fahrbar gemacht wurde, blühte der Handels- und Ferienort im Urserntal auf. Die wirtschaftlichen Rückschläge begannen mit der Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels vor 130 Jahren und später mit weiteren Tunneln. Direkt an der Wetterscheide des Gotthardmassivs gelegen, gilt das auf einer Höhe von 1447 Metern gelegene Andermatt in der Schweiz und anderswo nicht als Landschaft für Sonnenanbeter, wenn der Wind oft den Nebel und Regenwolken ins Tal bläst.
Im Quellgebiet des Rheins
Trotz all dem ist der ägyptische Multimilliardär und weltweite Investor Samih Sawiri angetreten, um hier in einem Tourismus-Resort ein Luxushotel, nebst noblen Ferienhäusern und einen 18-Loch Golfplatz zu bauen. Glanzvolle Eröffnungen vielleicht schon im nächsten Jahr.
Das jüngste touristische Highlight - der Vier-Quellen-Weg
Im diesjährigen Sommer ging Andermatt erneut wieder an den Start. Dieses Mal als idealer, sehr günstig gelegener Ort, um bequem zu dem am 5. August 2012 eröffneten Vier-Quellen-Wanderweg zu gelangen
Roter Leuchtturm auf der Passhöhe
Einer der Ausgangspunkte der Wanderung ist der Bahnhof in Andermatt, von dem aus die traditionsreiche Matterhorn-Gotthardbahn gemächlich bis auf 2044 Meter zur Oberalppasshöhe fährt. Hier auf dem Pass, sozusagen im Herzen der Schweiz, empfängt den Wanderer ein zehn Meter hoher roter Leuchtturm. Das vier Meter höhere Original stand 70 Jahre lang 1.230 Kilometer entfernt als Leuchtturm in Hoek van Holland an der Einmündung des Rheins und jetzt im Hafenmuseum von Rotterdam.
Der Leuchtturm am Oberalppass
Die Nachbildung des Leuchtturms fungiert jetzt als Startpunkt der ersten Etappe des Vier-Quellen-Weges zur Quelle des Rheins.
Der Wanderweg ist nagelneu ausgeschildert und schlängelt sich ganz allmählich über viele Kehren noch insgesamt 300 Meter hoch. Nach der Hälfte der Strecke lässt man die Geräusche der modernen PS-Zivilisation hinter sich. Immer wieder sind kleine namenslose Bäche in verschiedene Richtungen zu entdecken. Die den Schweiß treibenden Mühen des Anstiegs werden durch das Bergpanorama belohnt.
Ein Wanderweg zu vier Quellen
Mit dabei in unserer Wandergruppe ist der 67jährige Paul Debacher, zu Hause am Vierwaldstättersee. Neben seinem Architektenbüro hat der Schweizer das Hobby, Wanderwege in seinem Land ins Leben zu rufen. Auch der Vier-Quellen-Weg ist sein Baby. Er wollte eine hochalpine und zugleich familienfreundliche Wegstrecke kreieren, die er nach langem Suchen und Testen schließlich in der Gotthardregion gefunden hat. Denn nur hier konnte eine Wander-Route konzipiert werden, die die Quellen der vier Flüsse Rhein, Reuss, Ticino und Rhone erreicht, die dann wiederum in vier verschiedene Himmelsrichtungen fließen. Außerdem sind die vier Kantone Graubünden, Tessin, Wallis und Uri einbezogen, in denen vier verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Wanderweg zu Rheinquelle
Zehn Kilometer Wanderweg neu angelegt
Es dauerte mehr als elf Jahre, bis aus der Idee des Wanderfreaks Debacher Wirklichkeit wurde. Von dem insgesamt 85 Kilometer langen Wanderweg mussten zehn Kilometer Weg völlig neu erstellt und bis zu 50 Kilometer verbessert werden. Da gab es viele bürokratische Hürden zu nehmen, beispielsweise, wenn für die Hauptwege die Kantone und für die Nebenwege die Gemeinden zuständig sind oder wenn bei der Wegstrecke privates Eigentum berücksichtigt werden musste. Paul Debacher fand auch viele private Sponsoren und Unterstützer aus der Wirtschaft und der Politik, deren Engagement auch weiter gefragt ist. Schließlich hat Debacher im Kopf, dass der jährliche Unterhalt des Weges mindestens 100.000 Franken kostet. Außerdem besteht nach wie vor das Ziel, die Route zu den vier Quellen in einem Rundwanderweg zu vollenden. Dazu fehlen immerhin noch zwei Kilometer.
Vier-Quellen-Weg mit wunderschöner Aussicht auf die Berge
Sehr zufrieden ist er damit, dass alle Teilstrecken einzeln gewandert werden können und jeder Wanderer bei allen fünf Etappen neben Wanderhütten auch Hotels erreichen kann. Der Schweizer Reiseveranstalter Swisstrail hat dazu Angebote, die auch den Gepäcktransport einschließen.
Eine der vielen namenlosen Quellen Blick von ganz oben
Rheinquelle hat etwas Besinnliches
Am Ende des Aufstiegs zur Rheinquelle erwartet den Wanderer ein besonderer Anblick - die Schönheit vom Tomasee mit seinem klaren sauberen Wasser. Die Nennung des Tomasees als Quelle des Rheins geht auf einen Benediktinerpater zurück, obwohl vom Standpunkt der Mündungsferne, wie Fachleute feststellten, ein anderer Quellfluss noch ein paar Kilometer länger ist. Auf jeden Fall steht der Gedenkstein für die Rheinquelle am Ufer des Tomasees.
Initiator des Vier-Quellen-Weges Paul Dubacher Die Rhein-Quelle Tomasee - Ziel der Wanderung
„Es gibt schon sehr viele Anfragen aus Deutschland. An die Quelle des Rheins zu wandern, das hat gerade für viele Deutsche schon etwas Besinnliches“, erzählt Paul Debacher beim Abstieg. „Sehr reizvoll ist diese Tour auch deshalb, weil sie komplett auf Naturwegen ohne Asphalt verläuft.“
Natürlich ist für ihn die gesamte Wegstrecke attraktiv, aber er räumt ein, dass der 4-Quellenweg beim Wanderpublikum einen Favoriten haben wird. Das ist der Abfluss vom Tomasee, die Rheinquelle.
Rhone-Quelle beim Rhone-Gletscher
Der kleine Bahnhof von Andermatt ist nicht nur Haltepunkt für die Gotthardbahn, um zum Oberalppass und zur Rheinquelle zu gelangen. Auch die legendären Linien der Postautos haben hier ihren Stopp. Mit den gelben Bussen gelangt man hinauf auf den Gotthardpass und weiter zum Quellgebiet der Reuss.
Ausstellung im Innern des Berges
Das gewaltige Bergmassiv des Gotthard ist ein lohnender Platz, um zu verweilen und innezuhalten. Es soll nicht mehr durch Verkehrs-Staus und Diskussionen um neue Tunnelröhren von sich reden machen, sondern hat durch die ebenfalls im August dieses Jahres eröffnete Themenwelt Sasso San Gotthard einen attraktiven Anziehungspunkt.
Erlebniswelt im Gotthardmassiv
In insgesamt fünf Abteilungen werden hier die großen globalen Herausforderungen an die Menschheit beim nachhaltigen Umgang mit Ressourcen thematisiert. Der Platz der Ausstellung ist nicht so schlecht gewählt. Über zweihundert Meter lange Stollensysteme gelangt man in das Innere des Berges der ehemaligen Festung.
Riesiger Bergkristall von der Göscheneralp
Besonders zu den Themen Klima, Mobilität und Energie werden von den Schweizer Wissenschaftlern und Sponsoren mehr interessante Fragen gestellt und weniger altbekannte Antworten gegeben. Nicht ausgespart sind die vom Menschen immer wieder entdeckten Wunder der Natur. Hier werden in einem Raum einzigartige riesige Bergkristalle ausgestellt, die erst im Jahr 1997 ganz in der Nähe bei der Göscheneralp entdeckt wurden.
Kein scharfer Schuss aus Bunkerkanonen
Die Themenwelt schließt auch die historische Festung ein, die von der Schweiz im zweiten Weltkrieg in den Felsen des Gotthard hinein gebaut und noch bis 1999 von der Schweizer Armee genutzt wurde. Das Jahrzehntelang mit höchster Geheimhaltung versteckte Artilleriewerk hatte eine Besatzung von 500 Soldaten, übrigens liegt heute sinnigerweise die erlaubte Höchstzahl bei 500 Besuchern pro Tag. Insgesamt nur vier Bunkerkanonen mit einem Kaliber von 15 Zentimetern sollten vor allem nach Süden den San Giacomo Pass gegen ein militärisches Vordringen Italiens schützen. Von den damals 10.000 eingelagerten Granaten musste nicht eine einzige verschossen werden und so bestanden die Heldentaten der Bunkersoldaten darin, tief im Berg den Alltag zu meistern. Die Kanonen, Mannschafts-Quartiere und Ausrüstungen können von den Besuchern inspiziert werden. Die Schweizer Alpenfestungen am Gotthard und anderswo haben sicherlich erfolgreich potentielle Angreifer abgeschreckt. Wobei auch die Schweizer wissen, dass für herrschende Kreise anderer Länder zu allen Zeiten eine größere und wirksamere Abschreckung darin bestand, die Schweiz als einen neutralen Platz zur sicheren Aufbewahrung von Geld zu verlieren.
Auf dem Gotthardpass mit Blick in Richtung Tessin Auf dem Gotthardpass
Rhone-Gletscher auf stetigem Rückzug
Mitte des 19. Jahrhunderts pulsierte in Gletsch das touristische Leben. Gut betuchte Reisende gaben sich in dem 1857 erbauten vornehmen Hotel Glacier du Rhòne die Klinke in die Hand. Seit 1930 machte der berühmte Glacier Express hier Station und Gletsch berühmt.
Furker Dampfbahn auf der Bergstrecke
Jeder wollte den überdimensionalen Rhone-Gletscher sehen, der damals fast bis an das Hotel heranreichte. Doch der Gletscher trat Jahr für Jahr den Rückzug an, der Furka-Basistunnel wurde eröffnet und 1981 stellte der Glacier Express seinen Betrieb ein.
Doch Gletsch holte sich verlorenen Glanz vergangener Tage zurück.
Eisenbahnfreunde verhinderten nach der Tunneleröffnung den Abbau der Gleise auf der Bergstrecke. Und seit 2010 rollt wieder ein Dampfzug auf den traditionellen Strecken von Realp über Gletsch bis nach Oberwald mit grandiosen Sichten auf die Welt der Zentral-Alpen.
Historische Wettersäule im Park des Hotels Glacier du Rhone
Auch das Hotel Glacier du Rhòne mit seinem rustikalen Mobiliar erwartet wieder die Gäste und im Hotelpark vor der Tür steht wie seit eh und je eine Hydrometrische Wetterstation, von der schon vor 160 Jahren das zu erwartende Wanderwetter abgelesen wurde.
Nur den Gletscher kann niemand wieder ins Tal holen. Er hinterließ bei seinem Rückzug eine Moränen- und Steinwüste, die sich mittlerweile zu einer grünen Auenlandschaft entwickelte. Aber dafür ist der Gletscher auf der fünften und letzten Etappe des Vier-Quellen-Weges eine spannende Station.
Hotel Glacier du Rhone Rückzugsgebiet des Gletschers in Gletsch
Im Eistunnel in den Gletscher spazieren
Insgesamt sind auf dem letzten Abschnitt 17 Kilometer zurückzulegen. Veranschlagt sind mehr als sieben Stunden Wandern, da bis zum Rhone-Gletscher 1600 Höhenmeter absolviert werden müssen. Am Fuße des Rhone-Gletschers fließt die Rhone dann aus dem See des Schmelzwassers durch die Region des Wallis, an Genf, Lyon, Avignon und Arles vorbei, bis sie schließlich in der Camargue ins Mittelmeer mündet.
Der Rhonegletscher
Ein krönender Abschluss, so heißt es bei den Wander-Insidern, ist die Einquartierung in das ebenfalls traditionsreiche 130 Jahre alte Hotel Belvédère am Furkapass. Erstes Ziel sind nicht seine nostalgisch gestalteten Zimmer und das Schlaferlebnis, sondern das rechtzeitige Aufwachen, um bei Sonnenaufgang Fotos vom Gletscher schießen zu können.
Das legendäre Hotel Belvédère Der Eistunnel im Gletscher
Der eigentliche Star am Furkapass ist allerdings die sich auf 2300 Meter Höhe befindende Eisgrotte. Dazu wird seit 170 Jahren jedes Jahr neu ein 100 Meter langer blauer Eistunnel ins Eis des Gletschers gebohrt und Eiskammern angelegt. Im Laufe des Sommers werden dann 30 Meter des Tunnels aus Eis abschmelzen.
Doch einmalig ist der Gletscher nicht allein durch die Grotte, sondern auch durch seine Nähe zur Straße. Nirgendwo in Europa können Autos und Busse so nahe an einen Gletscher fahren wie an den Rhone-Gletscher.
Die Rhone-Quelle entspringt dem Gletschersee
Besuch im kleinsten Dorf der Schweiz
Der Rückweg von der Furkapasshöhe führt noch an einer besonderen Rarität vorbei, dem kleinsten Dorf der Schweiz mit dem Namen Zumdorf.
Das kleinste Dorf der Schweiz Zumdorf
Das Dörfchen hat diesen Titel schon seit Mitte des 19.Jahrhunderts inne als es durch den Niedergang von Lawinen bereits schwer gebeutelt und schließlich durch eine große Lawine gänzlich verschüttet wurde. Laut Geschichtschronik 1869 „…zählte der Weiler noch 13 Seelen.“ Heute ist nur noch die Familie Steinbauer, deren Vorfahren seit dem 15. Jahrhundert hier ansässig sind, übrig geblieben. Derzeit gibt es hier zwei zeitweise bewohnte Häuser, eine stilgerecht restaurierte Barock-Kapelle aus dem Jahr 1720 mit zehn runden Hinterglasbildern und das Gasthaus, das das Wirtsehepaar ganzjährig erfolgreich betreibt. Hier gibt es zwölf schicke Doppelzimmer und im Sommer die Übernachtung auf dem Heuboden im Stroh.
Für gut Trainierte ist der Weg freundlich
Auf der Wanderskala des Schweizer Alpenvereins wird der Vier-Quellen-Weg auf der Schwierigkeitsskala von 1 bis 6 bei 2 bis 3 eingestuft. Lakonisch wird ergänzt, der Wanderer sollte trittsicher sein, sich gut orientieren können und mit steilem Gelände klarkommen. Für den Vater des 4-Quellen-Weges, Paul Dubacher, ist es schon wichtig, dass sein Wanderweg auch ein familienfreundliches Angebot in den Hochalpen darstellt. Für Familien mit Kindern besonders aus dem Flachland ist der Weg allerdings nur freundlich, wenn alle gut trainiert sind und über Erfahrungen mit anstrengenden Wanderungen verfügen.
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